Zur Zeit läuft ja schon die “Volkszählung” 2011 aka Zensus 2011, in den kommenden Wochen werden viele Deutsche (etwa jeder Zehnte) auch persönlich befragt werden und müssen einen Fragebogen mit persönlichen Informationen ausfüllen. Den Fragebogen kann man sich auch online anschauen.
Interessant ist dabei, dass es auch zu Weltanschauung und Religion Fragen gibt. Der IBKA hat schon in einer Pressemeldung kritisiert, dass die Antwortmöglichkeiten bei Frage 9 eher suboptimal sind. Die Kritik geht aber noch nicht weit genug.
Eingeschränkte Antwortmöglichkeiten
Interessant ist die Auswahl der Antwortmöglichkeiten. Da wird der Punkt “Islam” in die drei Unterpunkte “Sunnitischer”, “Schiitischer” und “Alevitischer” unterteilt. Interessant dabei ist zum einen, dass es auch islamische Glaubensrichtungen gibt, die sich in keiner der drei Gruppen einordnen lassen wollen, es gibt aber kein “Sonstige Muslime”. Zum anderen muss man sich fragen, wieso diese Unterscheidung ausgerechnet beim Islam gemacht wird, aber nicht beim Punkt Christentum, das in Deutschland ja auch in den unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen vorkommt. Soll ein Zeuge Jehovas oder ein Mormone sich unter “Christentum” eintragen? Wieso wird bei Juden nicht zwischen reformierten und orthodoxen unterschieden?
Interessant auch, dass es gar keine Möglichkeit gibt, eine eigene Weltanschauung anzugeben. In anderen Ländern ist dies explizit vorgesehen. Eine Antwortmöglichkeit “Humanismus” oder die Möglichkeit, dies einzutragen, würde z.B. sicherlich sehr oft angekreuzt werden.
Belief follows Registration
Das größte Problem sehe ich aber tatsächlich in der Verknüpfung von Frage 8 und Frage 9. Die Kennzeichnung auf dem Fragebogen macht deutlich, dass Frage 9 nicht ausgewertet wird, wenn in Frage 8 bereits die Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft angegeben wurde.
Es ist aber nun keinesfalls so, dass die Mitgliedschaft in einer Religionsgesellschaft auch tatsächlich bedeutet, dass die entsprechende Weltanschauung geteilt wird. Ich kenne persönlich eine Unzahl von Menschen, die noch registrierte Kirchenmitglieder sind, obwohl sie gar keinen oder einen sehr abstrakten religiösen Glauben besitzen, der nicht mehr als Christentum bezeichnet werden kann. Diese haben nun aber gar keine Möglichkeit, diese Situation auch tatsächlich so in ihrer Beantwortung der Fragen abzubilden.
Conclusio
Wenn die Befragung tatsächlich dazu dienen soll, ein Bild der Verbreitung verschiedener Weltanschauungen in Deutschland zu gewinnen, sollte die Frage auch entsprechend offen gestellt werden: Mit einer detaillierten Antwortmöglichkeit inklusive der Möglichkeit zur Eingabe eines Freitextes und unabhängig von der amtlich registrierten Mitgliedschaft in einer Religionsgesellschaft.
Nachsatz
Das britische Zensus-Amt hält übrigens auf ihrem Server eine Liste von Religionen und den zu verwendenden Abkürzungen bereit. Das gibt einen Überblick, wie breit tatsächlich das Angebot an Weltanschauungen ist. Ein dort genannter “Buddhist Christian” z.B., wo sollte dieser sich auf dem deutschen Fragebogen wiederfinden?
Interessant auch, dass hier tatsächlich der Pastafari-Glaube (Flying Spaghetti Monster) und der Glaube an das Unsichtbare Rosarote Einhorn (Invisible Pink Unicorn) genannt werden. 😉
Interessant ist auch, dass die Liste aus UK ermöglicht “Other Religion” anzukreuzen. Das geht aber nur in England und Wales… 😉
“Soll ein Zeuge Jehovas oder ein Mormone sich unter “Christentum” eintragen?”
Im Endeffekt bei Frage 7 unter “sonstige öffentlich-rechtliche Religion”
@hgp:
Mormonen sind in Deutschland keine Körperschaft des öffentlichen Rechts und Zeugen Jehovas sind nur in manchen Bundesländern als solche anerkannt.
Wikipedia behauptet: Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage hat in den Bundesländern Hessen und Berlin den Status einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts; er wurde in beiden Fällen 1954 gewährt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Kirche_Jesu_Christi_der_Heiligen_der_Letzten_Tage#Deutschland
Aber du hast Recht, das gilt nur für einen Teil Deuschlands.
Eine Religionsgemainschaft d.ö.R. ist automatisch im gesamten Bundesgebiet “rechtsfähig”. Die Anerkennung der Zeugen Jehovas in Berlin lässt alle Zeugen Jehovas in Deutschland Mitglieder einer KdöR sein, die ihren Sitz in Berlin hat.
Das derzeitige Gerangel um die “Zweitanerkennung” in einigen Bundesländern betrifft formal lediglich die (nebensächliche) Frage, ob Zeugen Jehovas in diesen Bundesländern auch Hoheitsrechte ausüben dürfen. Die Umwandlung der früheren Ortsvereine der Zeugen Jehovas in Gliederungen der KdöR wurde bereits vor Jahren auch den Ländern abgeschlossen, die jetzt Zeugen Jehovas ablehnen.
arrgh …gemainschaft -> …gemeinschaft
@hgp
Danke für die Aufklärung. Sehr interessant! 🙂
Der Siegel kommt zum gleichen Ergebnis:
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,761665,00.html
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