Es gibt einige Sozialwissenschaftler, die sich damit beschäftigen, wie Gesellschaften künstliche Rollenbilder entwickeln, Menschen anhand dieser Rollenbilder in Gruppen einteilen und dies dann zur Ausbildung von Macht- und Herrschaftsstrukturen und Ausgrenzung führt. Ziel dieser Betrachtungen ist es eben auch, diese künstlichen Rollenbilder zu zerstören und so Herrschaftsstrukturen in Gesellschaften aufzubrechen.
Nun gibt es einige Gruppen, die diese Ideen und dieses Vorgehen aufgreifen, aber vollkommen unreflektiert mit diesen Ideen loslaufen und etwas vollkommen neues daraus machen, das künstliche Rollenbilder nicht zerstört, sondern noch verstärkt. Außerdem werden durch eine großzügige Einteilung von Menschen in Opfer- und Tätergruppen aufgrund weit gefasster Merkmale Menschen von der Arbeit gegen Diskriminierung ausgegrenzt.
Nur Betroffene dürfen reden
So war heute Morgen auf der Mailingliste der Bundestagswahlkandidaten der Piratenpartei [DE-Kandidaten-Wahlen13] zu lesen:
Wenn es aber um so spezifische Sachen wie z. B. Homosexualität geht, kann ein Hetero nicht mitreden, das ist einfach Fakt. Es ist (um mal ein Bild, dass ich vor einiger Zeit entwickelt habe nocheinmal zu bemühen) wie wenn Ich (als Mann) Dir (als Frau) einen Vortrag über “Die Probleme einer Frau bei der Menstruation” halte.
[…]
Wer z. B. noch niemals beim traditionellen und allzeit beliebten allwöchentlichen Schwulenklatschen von der Landjugend durch die Stadt gejagt wurde, wird nicht verstehen, wo hier das Problem ist bzw gar nicht wissen das hier ein Problem ist. Wer nach solch einer Aktion noch niemals auf der Polizeiwache war und nicht miterlebt hat, dass man dort eher ausgelacht den ernstgenommen wird, weiß nicht, dass hier ein Problem liegt.
So eine Aussage ist erst einmal ein Schlag ins Gesicht für die Leute, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte, ohne selbst homosexuell zu sein, für die Rechte von Lesben und Schwulen eingesetzt haben. Generell ist es für mich ohne Probleme nachvollziehbar, dass sich Menschen für Gleichberechtigung und gegen Ausgrenzung einsetzen, ohne konkret von der jeweiligen Form von Ausgrenzung betroffen zu sein. Zum einen können Menschen Ausgrenzung und verwandte Mechanismen ja auch in Bezug auf andere Merkmale persönlich erlebt haben, zum zweiten können sie Ausgrenzung bei anderen Menschen miterlebt haben und zum dritten ist eine ausgeprägte Empathie (also die Fähigkeit, sich in die Situation anderer Menschen hineindenken zu können) eine der wesentlichen Merkmale der Gattung Mensch.
Ich selbst als schwuler Mann habe (soweit ich mich erinnern kann) noch nie persönlich von irgendjemandem wegen meiner sexuellen Orientierung Gewalt angedroht bekommen. Auch in Bezug auf die Polizei und meine sexuelle Orientierung habe ich nur positive Erfahrungen gemacht. Ich weiß natürlich trotzdem, dass es Probleme gibt und dass diese angegangen werden müssen. Nur müsste ich für dieses Problembewusstsein nicht selbst schwul sein.
Weiße heterosexuelle Männer ohne Behinderung
Auch heute schreibt jemand auf der Baden-Württemberger Hauptmailingliste der Piratenpartei:
In dem Postulat, das Menschen, die „weiß, nicht-behindert, heterosexuell“ sind, diskriminiert werden könnten steckt schon die Abwertung der Täglichen Diskriminierungserfahrungen von Menschen mit Behinderungen, Queer, PoC, Frauen zu Gunsten eine Phantom Diskriminierung.
[…]
Indem sie so tut, als wäre die Möglichkeit vorhanden, das die Täter zu Opfer werden entwertet sie die Realen Erfahrungen der Opfer.
Ähnliche Argumentation findet mensch in noch stärkerer Form immer häufiger an verschiedenen Stellen. Da werden Menschen pauschal aufgrund einiger Merkmale in die Gruppen “Täter” und “Opfer” einsortiert. Den “Tätern” wird dann abgesprochen, überhaupt selbst Opfer von Ausgrenzung werden zu können.
Das Prinzip der Ausgrenzung von Menschen, die als anders wahrgenommen werden, ist aber ein allgemeines Phänomen bei Menschengruppen. Ob jemand in einer Gruppe zu den Ausgrenzern oder den Ausgegrenzten gehört, hängt dabei wesentlich von den historisch gewachsenen Rollenbildern in dieser Gruppe (und häufig schlicht den Mehrheitsverhältnissen) ab. So könnte das gleiche Mensch mit den gleichen Merkmalen in einem gesellschaftlichen Kontext ein Ausgrenzer sein, in einem anderen Kontext aber zu den Ausgegrenzten gehören. In der Praxis bewegen sich Menschen immer in verschiedenen Gruppen gleichzeitig. Und so ist es in der Praxis so, dass viele Menschen, die als Minderheit in einer größeren Gruppe ausgegrenzt werden, in einer kleinere Gruppe, in der sie sich gleichzeitig bewegen, selbst als Ausgrenzer auftreten. (Und umgekehrt).
Je größer die Gruppe, desto stärker wirkt sich Ausgrenzung aus, weil ein Ausweichen schwieriger wird. Trotzdem muss man auch die Formen von Ausgrenzung im Kleinen berücksichtigen. Unmenschlich ist es, den Menschen, die Ausgrenzung tatsächlich am eigenen Leib spüren, diese eigene Erfahrung abzusprechen, nur weil ihre Erfahrungen nicht Teil eines gesamtgesellschaftlichen Mechanismus sind.
Jetzt wird es kompliziert, mensch läuft jetzt nämlich in eine Falle. Was jetzt nicht passieren darf, ist dass die verschiedenen real existierenden Vorkommen von Diskriminierung gegeneinander ausgespielt und dazu verwendet werden, andere zu relativieren.
Beliebt bei Personen, die Ausgrenzung gegen bestimmte Gruppen als akzeptabel propagieren wollen, ist es nämlich, dann auf Ausgrenzung, die von jener Gruppe selbst (tatsächlich oder vermeintlich) ausgeht, hinzuweisen und dies dann als Rechtfertigung für die eigene Ausgrenzung zu verwenden.
So kommt in Gruppen aus mehrheitlich Personen mit Migrationshintergrund Ausgrenzung gegen Menschen ohne Migrationshintergrund oder einem abweichenden Migrationshintergrund vor. Personen, die vor Ort mit diesen Gruppen zusammenarbeiten (z.B. Lehrer oder Sozialarbeiter an Schulen) müssen darauf entsprechend reagieren und dagegen arbeiten. Es macht auch Sinn, dies innerhalb von Migrantencommunities anzusprechen und dagegen vorzugehen. Nur hat dies keine Relevanz, wenn man über die Situation von Migranten in Deutschland insgesamt redet. In einer solchen Diskussion plötzlich über Diskriminierung in einem anderen Rahmen zu sprechen, dient alleine der Relativierung und Rechtfertigung von Ausgrenzung.
Menschen, die „männlich, weiß, nicht-behindert, heterosexuell“ sind, können nicht Gesellschaftlich Diskriminiert, aber schon Ausgrenzt werden. Der Unterschied liegt darin, das ich von Diskriminierung, du aber von Ausgrenzung Rede. Diskriminierung beinhaltet, auf der Persönlichen Ebene, Ausgrenzung aufgrund bestimmter Merkmale. Umgekehrt kann mit Ausgrenzung eine gewisse Abwertung bis hin zur Diskriminierung derer, die ausgeschlossen werden, einhergehen.
Ausgrenzung ist ein Prozess des Ausschlusses eines Individuums oder einer Gruppe.
Zur Ausgrenzung gehören auch Vorstellungen von dem, was normal ist, innen und außen, akzeptiert oder nicht akzeptiert. Nebst Merkmalen und Eigenschaften, die zur Ausgrenzung führen, geht es um Zuschreibungen. Wer ausgegrenzt ist, gehört nicht (mehr) dazu, wird stigmatisiert.
Zur Diskriminierung von Menschen kommt es aufgrund gruppenspezifischer Merkmale wie ethnische oder nationale Herkunft, Hautfarbe, Sprache, politische oder religiöse Überzeugungen, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Alter oder Behinderung.
Ausgangspunkt jeder Diskriminierung ist die Konstruktion von Differenz. Jeder Form Diskriminierung liegt eine Unterscheidung und Bewertung durch eine Mehrheit zugrunde, was als gesellschaftliche Norm zu gelten hat (z. B. weiß, deutsch, männlich, heterosexuell, gesund, leistungsfähig, christlich etc.). Von Diskriminierung betroffen sind damit Gruppen, die den dominanten Normen nicht entsprechen. Dabei handelt es sich häufig um zahlenmäßige Minderheiten. Doch die Diskriminierung von Frauen zeigt, dass dies nicht auf eine quantitative Minderheit beschränkt sein muss.
In der Differenz beider Definitionen liegt der gravierende Unterschied. Ausgrenzung kann überwunden werden, da sie auf der Zuschreibung von Merkmalen und Eigenschaften beruht, die plakativ und voller Vorurteile sind. Ausgrenzung, auch wenn sie eine Gruppe betrifft, wird immer auf das Individuum übertragen. Sie wirkt immer individuell, niemals Gesellschaftlich.
Ausgrenzung beruht auf Individuellen Vorurteilen, Zuschreibungen an eine Person, die Konstruktion von Differenz zu dem, was als gesellschaftliche Norm zu gelten hat beruht auf Gesellschaftlich verfestigten Einstellungen.
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