Als Menschen sind wir Gruppenwesen. Es scheint biologische Faktoren zu geben, die dafür sorgen, dass wir uns als Einzelpersonen sehr leicht mit den Gruppen, zu denen wir gehören, identifizieren. Dazu gehört dann häufig auch die gemeinsame Ablehnung anderer Gruppen oder häufig einer speziellen anderen Gruppe als verbindendes, die eigene Gruppe zusammenschweißendes Element. Der gleiche Mechanismus funktioniert bei Religionen genauso wie bei Staaten, Fußballfanclubs, ethnischen Gruppen und eben auch politischen Parteien.
Ein Aspekt davon ist, dass man Fehlverhalten in der eigenen Gruppe ganz anders bewertet, vielleicht verteidigt oder sogar gar nicht als Fehlverhalten wahrnimmt als in der verfeindeten Gruppe.
Im folgenden zwei Beispiele aus meiner Twitter-Timeline. Die beteiligten Personen mögen sich nicht persönlich angegriffen fühlen. Ich beschreibe hier ja einen allgemeinen Mechanismus, der uns allen gleichermaßen eigen ist.
Schmähung politischer Gegner
Der Twitter-User @Stefan_K_GP bewertete hier in zwei direkt aufeinander folgenden Tweets vom 11. Januar 2011 zwei vergleichbare Schmähungen politischer Gegner sehr unterschiedlich, nur weil er im ersten Fall auf einer anderen Seite steht als im zweiten.
Der erste Tweet bezieht sich auf ein CSU-Werbevideo, das Die Grünen in einem Zeichentrickfilm als Dagegen-Partei verschmäht, in der es eben nur Steinewerfer gäbe. Stefan retweetet hier einen Kommentar von @krohlas, der anlässlich des Videos die Frage stellt “Wie viel Hass steckt eigentlich in der CSU?”.
Im genau darauf folgenden Tweet schreibt Stefan aber selbst “Die Guido Westerwelle-Briefmarke wurde von der Deutschen Post wieder aus dem Sortiment genommen. Die Leute bespuckten die falsche Seite”. Er betreibt also hier selbst eine Schmähung des politischen Gegners, die man durchaus als von Hass geprägt sehen kann.
Ob eine Schmähung des politischen Gegners abgelehnt oder sogar selbst durchgeführt wird, kann sich also innerhalb von Sekunden ändern, abhängig davon, ob man selbst die geschmähte Gruppe ablehnt oder nicht.
Ein weiteres Beispiel:
Wählermanipulation
Diese Tweets vom 27. März 2011 beschäftigen sich mit der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, die an diesem Tag stattfand. @Donnerbeutel, der zu diesem Zeitpunkt stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes Rheinland-Pfalz der Piratenpartei ist, regt sich hier mächtig über Wahlplakate politischer Gegner in der Nähe von Wahllokalen auf. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich an dem Tag auch Plakate der Piratenpartei in der Nähe von Wahllokalen befanden. Es ist schlicht und einfach praktisch unmöglich, vor allem für ehrenamtliche Helfer, die sogar vielleicht in fremden Gegenden Plakate aufhängen, zu wissen, wo sich Wahllokale befinden und wo nicht.
Passenderweise verhält sich @Skymaus, Direktkandidatin der Piraten im Wahlkreis Kusel genau gegenteilig. Ganz stolz berichtet sie, wie sie dafür kämpfte, dass Piratenwerbung vor einem Wahllokal hängen bleibt. Donnerbeutel folgt Skymaus auf Twitter, muss diesen Tweet also gesehen haben, hat aber (zumindest öffentlich) nicht darauf reagiert.
Ähnliches war übrigens am gleichen Tag auch nebenan in Baden-Württemberg zu beobachten, wo auch eine Landtagswahl stattfand. Während einige Piraten aufgeregt dazu aufriefen, Verstöße gegen die Bannmeile um Wahllokale energisch zu bekämpfen, berichteten andere auf dem gleichen Kommunikationskanal vom Besuch im Wahllokal im Piraten-T-Shirt.
Schlussfolgerung
Wie schon oben gesagt, denke ich, dass dieses Verhalten uns Menschen angeboren ist. Ganz vermeiden können wir es auf keinen Fall, es hat in begrenztem Maße sicher auch positive Effekte. Wir sollten uns aber immer dessen bewusst sein, dass wir dazu neigen, unterschiedliche Standards beim Bewerten des Verhaltens von Feinden und beim Bewerten des Verhaltens von Freunden anlegen.
Wer also einen Gegner attackieren möchte, soll bitte vorher prüfen, ob er nicht zu strenge Maßstäbe an dessen Verhalten anlegt. Und auch beim Beurteilen des Verhaltens unserer Verbündeter sollten wir sicher manchmal etwas kritischer sein.
Das gilt übrigens auch für verschiedene Gruppierungen innerhalb der Piratenpartei. Es passiert momentan z.B. hier in Baden-Württemberg leider viel zu oft, dass Berliner Piraten als “die Gegner” wahrgenommen werden und enorm strenge Maßstäbe an das Verhalten von Piraten im Berliner Landesverband angelegt werden, während man ähnlich schlimme Verfehlungen in der eigenen Umgebung übersieht oder sogar verteidigt oder sogar mitmacht. Gleiches natürlich auch umgekehrt und in ganz anderen Konstellationen.
Auch die aktuell sehr hitzige Diskussion zwischen der “Spackeria” und den “Datenschützern” zeigt solche Züge. Ich möchte hier alle dazu aufrufen, in dieser Situation besonders darauf zu achten, dass man nicht zu sehr dem Gruppendenken verfällt. Ich habe auch an mir selbst gemerkt, dass mir das zeitweise passiert ist.
Versucht, euch tatsächlich die Argumente und Vorstellungen der “Gegenseite” anzuhören. Seht über “Ausfälle” der anderen Seite hinweg und kritisiert ruhig auch mal Leute “in den eigenen Reihen”, wenn die in ihrem gerechten Zorn zu weit übers Ziel hinaus schießen.
Danke fürs Zuhören. Die Moralpredigt ist nun zu Ende 🙂
Da ich hier im Blog genannt werde, weise ich darauf hin, dass ich den Tweet von Skymaus tatsächlich nicht gesehen hatte, hätte ich ihn gesehen, hätte ich auf die Wahllokalregelung hingewiesen.
Ich versuche so gut, wie möglich die Regularien zu beachten und habe extra darauf geachtet, kein Piratenshirt o.Ä. das die Verbindung mit den Piraten herstellt, zur Wahl zu tragen und andere Piraten, von denen ich mitbekommen habe, dass sie es bewusst locker genommen haben, darauf hingewiesen.
Für mich gilt gleiches Recht für alle, oder niemand ist gleicher, als gleich.
Grüße vom donnernden Beutel
Nur als Hinweis: als Wähler darfst du im Wahllokal durchaus mti Piratenshirt ankommen. Nur nicht als Wahlhelfer / Vorsteher oder als Wahlbeobachter. Diese mögen sich bitte neutral kleiden und auf keiner Partei hinweisen – egal wie, damit einfach keine Wahlbeeinflussung stattfindet. In BW wurde sogar darauf hingewiesen, dasss S21/K21-Buttons bitte auch wegzulassen seien. Meiner Meinung nach durchaus vernünftig.
Vielen Dank für die sachliche “Moralpredigt”! Ich vertrete sogar die Meinung, dass es nicht entscheidend ist ob wir Piraten gewählt werden, sondern vielmehr unsere politischen Anliegen Gehör finden und zum Wohl der Bürger umgesetzt werden. Natürlich freue ich mich über Zulauf zu den Piraten und wenn wir politische Verantwortung übernehmen, aber das wichtigste sind unsere inhaltlichen Anliegen!
Gruß
Trichers
Ja das ist mir vor einiger Zeit auch schon mal aufgefallen. Kombiniert man das noch mit der Monkeysphere
[(http://de.wikipedia.org/wiki/Dunbar-Zahl) bzw (http://en.wikipedia.org/wiki/Monkeysphere)] kann man ziemlich viele Verhaltensweisen erstaunlich gut erklären. Zum Glück kann man das ein wenig unterbinden, wenn mans kennt.
Toller Post!
mfg Xaleander