Die Schweizer Entscheidung, den Bau von Minaretten in Zukunft zu verbieten[^], hat in den letzten zwei Tagen für sehr viel Diskussion gesorgt.
Bei einigen Diskussionen spielte dabei überraschenderweise das Thema “Gleichberechtigung der Geschlechter” eine Rolle. So erklärte mir in einem englischsprachigen Forum ein Schweizer, er habe für die Initiative gestimmt, da Minarette als Symbole des Islam für eine “sexistische Ideologie” stünden und die Gleichberechtigung der Geschlechter “allen Schweizern so sehr am Herzen” liege, dass sie durch das Minarett-Verbot ein deutliches Zeichen für Gleichberechtigung setzen mussten.
Auch in der taz liest man[^] erstaunliches:
Ausschlaggebend für die landesweite Mehrheit war – ebenfalls ähnlich wie in den Niederlanden und Belgien – nach Überzeugung der beiden PolitologInnen Regula Stämpli und Michael Hermann die hohe Zustimmung von Frauen, die sich als Feministinnen und als links verstehen und zum Teil bei den Grünen oder der Sozialdemokratischen Partei aktiv sind. “Diese Frauen wollten ein Zeichen setzen gegen eine Kultur, die sie als autoritär, machohaft und aggressiv empfinden”, erklärt Hermann.
Mir erscheint diese Begründung etwas seltsam. Sollten es wirklich die fortschrittlicheren, gar feministischen Gruppen in der Schweiz gewesen sein, die für diese Initiative gestimmt haben? Teilweise möglicherweise schon, aber ich glaube, die Mehrheit der Stimmen kommt aus einem ganz anderen Lager.
Einen ersten Hinweis darauf gibt ein Eintrag im amerikanischen Blog FiveThirtyEight[^]:
If we break the results of the referendum down by canton (province) and compare them against the number of nonreligious people in that region, we find a fairly strong relationship. The more religious the region, the more likely it was to support the ban
Man stellt hier also zunächst einmal fest, die konservativeren (mehr religiöse Christen, weniger Atheisten und Agnostiker) Kantone der Schweiz haben die höhere Zustimmung zu einem Minarett-Verbot.
Als ich dann nochmal darüber nachdachte, was ich in dem Forenbeitrag gelesen hatte, nämlich dass die Gleichberechtigung den Schweizern besonders am Herzen liege, fiel mir etwas ein. “Moment, da war doch etwas!” Richtig, die Erinnerung kam zurück: War die Schweiz nicht eines der letzten Länder in Europa, das das Frauenwahlrecht einführte? Eine kurze Google-Recherche förderte eine Webseite[^] zu Tage, die einen Blick auf die Geschichte des Frauenwahlrechts in der Schweiz wirft:
Im Jahr 1959 wird das Frauenwahlrecht auf Landesebene in der Schweiz mit einer deutlichen Mehrheit von 67% der Wähler abgelehnt. Erst 12 Jahre später, 1971, hat ein erneutes Referendum Erfolg und 66% der Wähler stimmen für ein landesweites Frauenwahlrecht, wohl auch wegen wirtschaftlicher Überlegungen, da die wirtschaftlich vorteilhafte Mitgliedschaft im Europarat ohne Frauenwahlrecht nicht länger akzeptiert wurde. Die Entscheidung 1971 wirkte sich aber nicht auf das Wahlrecht innerhalb der einzelnen Kantone aus. Einige der Kantone hatten schon vorher für lokale Wahlen den Frauen das Wahlrecht zugesprochen, andere folgten erst später, zum Teil erst wesentlich später. Besonders interessant ist hier der Kanton Appenzell-Innerrhoden (Ja, der heißt wirklich so!). Nachdem im Jahre 1989(!) der benachbarte Kanton Appenzell-Ausserrhoden mit Ach und Krach in einer Volksabstimmung das Frauenwahlrecht endlich beschlossen hatte, wehrten sich die Bürger in Innerrhoden immernoch mit Händen und Füßen und ihren Stimmzetteln gegen ein Wahlrecht auch für Frauen. Erst im November 1990, vor 19 Jahren, kurz nachdem Deutschland die Wiedervereinigung gefeiert hatte (Junge, wie die Zeit vergeht!) zwang schließlich das Schweizer Bundesgericht den Kanton, das Frauenwahlrecht gegen alle vorhergehenden Volksabstimmungen trotzdem einzuführen.
Interessant ist es nun allerdings wiederum, wenn man das Verhalten der einzelnen Kantone bei der Einführung des Frauenwahlrechts mit dem Abstimmungsverhalten[^] bei der Minarett-Initiative vergleicht: In genau vier Kantonen hat sich eine Mehrheit gegen das Minarett-Verbot ausgesprochen: In Waadt, in Genf, in Neuenburg und in Basel-Stadt. Dies sind aber auch die ersten vier Kantone, die ein Frauenwahlrecht eingeführt hatten: Waadt und Neuenburg bereits im Jahr 1959, Genf im Jahr 1960 und Basel-Stadt im Jahr 1966. Auch der Kanton mit dem lustigen Namen, Appenzell-Innerrhoden, fällt hier auf: Der Kanton, der sich bis zuletzt (vor 19 Jahren) gegen die Einführung eines Frauenwahlrechts gewehrt hatte, hat bei der Abstimmung am 29. November mit 71,4% Ja-Stimmen die höchste Zustimmung zum Minarett-Verbot eingefahren.
Während es also durchaus möglich ist, dass einige verblendete Feministinnen für das Minarett-Verbot gestimmt haben, weil sie denken, damit ein Zeichen für Gleichberechtigung und Freiheit setzen zu können, bin ich sehr skeptisch, wenn dieses Begründung als Ausrede für das Gesamtergebnis in der Schweiz herangezogen wird; dies vor allem auch, da die beiden Parteien, die diese Abstimmung initiierten, die SVP und die EDU, gerade eben auch für ein rückwärts gerichtetes Gesellschaftsbild stehen, in dem Frauen, Menschen anderen Glaubens und Homosexuelle Menschen zweiter Klasse sind.
Ich glaube eher, die meisten Schweizer hatten andere Gründe, für diese Initiative zu stimmen: In alten Denkmustern gefangen, voller Angst vor Veränderung und dem Verlust des Althergebrachten, sind sie auf die Propaganda einiger Rattenfänger hereingefallen, die ein künstlich aufgebautes Bild von einem monolithischen, bedrohlichen Islam verwenden, um Ängste zu schüren und so politische Macht zu gewinnen.
Ich hoffe, eine friedliche und sachliche Reaktion der Schweizer Muslime wird dazu beitragen, dieses Zerrbild der Realität zu zerstören. Natürlich gibt es im Islam, wie auch in anderen Religionen, rückwärts gerichtete Strömungen und Extremisten, unter den Schweizer Muslimen aber offenbar relativ wenige und eher auch nicht mehr als in der restlichen Schweizer Gesellschaft. Für das Vorhandensein dieser Extreme darf man aber nun nicht die Gesamtheit der muslimischen Gemeinden in der Schweiz bestrafen.
Ein Verbot des Minarettbaus ist dabei, anders als viele Kommentatoren schreiben, gar nicht mal vorrangig eine Einschränkung der Religionsfreiheit. Ich denke, man kann argumentieren, dass eine bestimmte Bauform nicht zwangsläufig Teil der Religionsausübung sein muss. Das Verbot verstößt aber auf jeden Fall gegen einen anderen wichtigen rechtsstaatlichen Grundsatz: Die Gleichberechtigung/Gleichbehandlung. Jeder Mensch muss vor dem Gesetz die gleichen Rechte besitzen. Kein Gesetz darf (ohne “guten” Grund) nur auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zutreffen. Niemand darf wegen seiner Abstammung, seines Glaubens, seines Geschlechtes, seiner sexuellen Orientierung oder anderer Merkmale gezielt durch ein Gesetz schikaniert werden. Und genau das passiert nun in der Schweiz.
Liebe Schweizer, wenn euch die Gleichberechtigung so sehr am Herzen liegt, wieso habt ihr dann für ein Gesetz gestimmt, das die Gleichberechtigung einschränkt?
Aha, das ist also Dein Blog. Gut recherchierter Beitrag!
/sign
:thumbsup:
Pingback: Welchen Schweizern die Gleichberechtigung besonders am Herzen liegt – Wolfsbeeren
Dass es die feministischen Gruppen in der Schweiz gewesen sein sollen, die für diese Initiative gestimmt haben, finde ich ebenfalls SEHR zweifelhaft!
Guter Artikel. War mich gleich einen Tweet wert!